DER SECHSTE MOND

 

Die Erdentage werden nie den sechsten Mond verwinden, der sechste Mond, in dem mein Herz erstirbt wie meine Poesie und die Ersehnte, in unwirklich blutiger Lache erstickt.

 

Die Glut der Sonne sprengt im sechsten Mond die Haut, entlarvt das wahre Bild der Wunden.

 

An andren Ort zur Überwinterung entfliehn dem blutgetränkten Meer im sechsten Mond die Fische.

 

Im sechsten Mond verformt die Erde sich, die Flüsse fließen tonlos. Briefe und Karten bleiben zuhauf zurück, ohne die Hoffnung,dass je sie die Toten erreichen.

 

Der sechste Mond ist ein Gedicht von dem chinesischen Dichter und Journalisten Shi Tao, der 2005 wegen Weitergabe von Staatsgeheimnissen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 2008 wurde das Gedicht in 60 Sprachen übersetzt und per Mail von P.E.N.-Zentrum zu P.E.N.-Zentrum um die Welt geschickt. Der Internationale P.E.N. macht mit dem elektronischen Staffellauf des Gedichtes darauf aufmerksam, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung in China verletzt wird.

 

In meiner Arbeit habe ich mich auf die Zensur und die eingeschränkte Meinungsfreiheit in China bezogen. Es handelt sich dabei um ein Daumenkino, welches von vorne, sowie von hinten gelesen werden kann. Auf der einen Seite wird das Gedicht von der Zensur befreit. Dabei werden von der anfänglich kompletten Zensur immer mehr Buchstaben des Alphabets herausgelöst, bis das ganze Gedicht zu lesen ist. Nutzt man das Buch von der anderen Seite, erkennt man, welche Buchstaben von der anderen Seite zensiert wurden.